Kriterien einer pädagogischen Ethik

Welche Kriterien umfasst eine pädagogische Ethik?

Welche Fragen haben Schüler an ihre Lehrer?

Neue Ethik im Kampf um Menschlichkeit

Ethik fragt nach dem Guten, nach der richtigen Handlung. Das 20. Jahrhundert hat die Quellen des Bösen in einer nie da gewesenen Weise offengelegt. Weltkriege als Macht- und Wirtschaftskämpfe, rechts- und linksradikaler Fundamentalismus, kollektiver Sozialismus, totalitäre Regimes, Militär- und Polizeidiktaturen, Völkermord und abgrundtiefer Hass haben das Schicksal ungezählter Millionen Menschen geprägt und prägen es weiterhin.

Gut und Böse können einerseits von außen auf uns wirken, aber auch mehr oder weniger bewusst aus dem eigenen Inneren aufsteigen und so wirksam werden. So können wir fassungslos vor Beispielen von Korruption und Verlogenheit stehen, wie sie täglich durch die Medien präsentiert werden, aber gleichzeitig die Tendenzen ein und desselben Verhaltens in uns selber nicht bemerken, weil eine Gefälligkeitslüge oder eine auf eine Gegengabe abzielende „gute Tat“ uns eher selbstverständlich und harmlos erscheinen.

Eine neue Ethik ist gefragt – sie muss da ansetzen, wo der Kampf um die Menschlichkeit heute stattfindet: in jedem Einzelnen. Die Zeiten sind vorbei, in denen Entscheidungen von den Großen und Mächtigen für ein unmündiges Volk getroffen wurden. In den modernen Demokratien kommt es auf die vielen Einzelnen an, die letztlich entscheiden, wer an die Macht kommt und welche Produkte konsumiert werden. Dies ernst zu nehmen, ist der Anfang der neuen Ethik. So wie terroristische Einzelaktionen und Gewaltanwendungen jede Gesellschaft destabilisieren und chaotische Zustände herbeiführen können, so können fundamentalistische Parolen, Gruppenmeinungen und Ausgrenzungen in jedem einzelnen Menschen neutralisiert und gestoppt werden.

Fragen der Schüler an ihren Lehrer

Genau diese Fähigkeit wollen die Schüler an ihrem Lehrer erleben. Sie sitzen oder stehen ihm mit der nonverbalen Frage gegenüber:

Wer bist Du?

Wie meisterst Du das Leben?

Woher kommt das Gute?

Aus welchen Erfahrungen kannst Du sprechen?

Kannst Du mir helfen, ich selber zu werden?

Folgt man Rudolf Steiners Ausführungen über die Entwicklungsfähigkeit des Menschen, so stimmt es optimistisch, wenn man in seinem Schulungsbuch „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ liest: „Es schlummern in jedem Menschen Fähigkeiten, durch die er sich Erkenntnisse über höhere Welten erwerben kann.“1

Jeder kann lernen, menschlicher zu werden, wenn er die göttlich-geistigen Daseinsbereiche in sich selber bewusst macht, „erweckt“. Denn Entwicklung bedeutet, dass ein Späteres aus einem Früheren hervorgeht, dass man sich verwandelt, über sich, d.h. über das Bestehende hinauswächst.

Das Leben als Einweihungsweg verstehen

Es gehört zu den ganz besonderen Begleiterscheinungen des von Steiner skizzierten Entwicklungsweges, dass er das Leben selber als Einweihungsweg beschreibt (vgl. Mysterien und Initiation: Initiation durch das Leben). Deutlich arbeitet er heraus, dass die Aneignung von Wissen oder meditative Übungen nur dann segensreich sind, wenn man die Ergebnisse dieser Arbeit nicht als Selbstzweck betrachtet, sondern für das tägliche Leben fruchtbar macht. Selbstentwicklung, so verstanden, bedeutet, lebenserfahren zu werden, das heißt, das Leben in all seinen Höhen und Tiefen zu entdecken und zu verstehen. Denn: Wie will man letztlich Charaktereigenschaften lernen wie Verehrung, innere Ruhe, Mut und Zuversicht, Hoffnung, Treue, Andacht, Liebe und Wahrhaftigkeit bis hin zur Autonomie – die auch die Autonomie anderer bejahen kann –, wenn diese Eigenschaften nicht so gelernt werden, dass sie auch im Alltag Bestand haben, ja geradezu deutlich wird, dass das Leben selbst der allerbeste Lehrmeister dieser Eigenschaften ist.

Das bedeutet aber auch, dass es keinen „geistlosen“ Unterricht geben kann. Man steht als Pädagoge vor der Herausforderung, Unterrichtsstoff, Methodik und Didaktik der körperlichen, seelischen und geistigen Entwicklung dienstbar zu machen. Um das leisten zu können, braucht es einen Weg der Selbstentwicklung, der dies ermöglicht und fördert.

Als wegweisende Kriterien auf diesem hat Rudolf Steiner sieben Charaktereigenschaften bzw. Lebenshaltungen beschrieben. Wer daran arbeitet wird bald bemerken, wie er dadurch inneren Halt und klare Lebensorientierung gewinnt. Steiner nennt diese Lebenshaltungen „die sieben Bedingungen“ für den inneren Weg und bemerkt dazu (vgl. Waldorfpädagogik: Die sieben Bedingungen für den Weg der Selbstentwicklung): Ganz erfüllen kann die Bedingungen niemand; aber sich auf den Weg zu ihrer Erfüllung begeben kann jeder. Nur auf den Willen, auf die Gesinnung, sich auf diesen Weg zu begeben, kommt es an. 2

Ich werde sie im nächsten Beitrag mit direktem Bezug zum Lehrerberuf näher ausführen.

Vgl. „Die Angst in der Selbsterziehung des jungen Erwachsenen“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013

  1. Rudolf Steiner, Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten, GA 10. Dornach 1993, S. 16. (Ausgabe 1992, die auch der Online-GA zugrunde liegt).
  2. Ebenda, S. 103.