Seelische, körperliche und geistige Gesundheit durch Erziehung

Inwiefern trägt Erziehung zur Gesundheit der Kinder bei?

Was gilt es seitens der Pädagogik zu beachten und beizutragen?

Einflüsse der Erziehung auf die Gesundheit

Grundsätzlich gilt, dass alles, was im Umfeld eines Kindes geschieht, sich auf sein Wohlbefinden auswirkt. Kinder sind sinnesoffene Wesen, die dank der Spiegelneuronen ihr Umfeld genau nachahmen – was nicht immer zu ihrem Vorteil ist. Umso mehr muss sich der Erwachsene seiner prägenden Wirkung bewusst sein, ja nicht nur das: Er sollte an sich arbeiten, um einen positiven Einfluss auf die ihm anvertrauten Kinder und ihre Gesundheit zu haben.

  • Erziehung und seelische Gesundheit

Zentrales Instrument zur Förderung der seelischen Gesundheit ist die Pflege guter Beziehungen unter den Schülern, zwischen Lehrern und Schülern sowie zwischen Schule und Elternhaus. Gerne fragte Rudolf Steiner, wenn er die Waldorfschule besuchte: „Habt Ihr eure Lehrer lieb?“

Lernen aus Angst, aus Pflicht, unter Druck wegen eines Tests oder Examens ist ein Unding – und heute leider vollkommen normal. Solche Lernmotive sind nicht freilassend, sondern konditionieren die Kinder und erziehen sie zur Abhängigkeit. Wer meint, Kinder konditionieren zu müssen, ist der Ansicht, das Kind wolle nur lernen, wenn bzw. weil es „muss“. Das geht aber vollkommen am Wesen des Kindes vorbei. Wenn es aus Interesse an einem bestimmten Bereich des Lebens oder aus Zuneigung zu einem Erwachsenen, dem dieses Fach ein Herzensanliegen ist, lernt, steht das nicht im Widerspruch zu dem natürlichen Autonomiebestreben des Kindes.

Alles, was die Kinder und Jugendlichen nicht in ihrem Erleben erreicht, wird von ihnen als „blutleer“ oder schlimmer noch: als sinnlos empfunden. „Leben liebt Lehre und Lehre liebt Leben“, so formulierte Rudolf Steiner einmal dieses Urgesetz dialogischen Lernens. Ohne dass der Lehrer mit Kopf, Herz und Hand im Leben steht und aus diesem Darinnen-Stehen die Schüler unterrichtet, haben Schüler kein Vorbild, kein erstrebenswertes Modell, keine wirkliche Orientierung und können so auch nicht miterlebend lernen.

Die seelische Entwicklung braucht die Orientierung an Menschen, welche die Fähigkeiten bereits entwickelt haben, die beim Kind noch in Entwicklung sind. Das Kind muss konkret erleben, mitfühlen, dabei sein können bei dem, worum es geht, und aus den gemachten Erfahrungen des Lehrers lernen.

Behindernd für die seelische Gesundheit ist daher auch das Vergleichen der Schüler untereinander nach abstrakten Kriterien wie z.B. nach der Fehlerzahl und darauf basierend eine Bewertung, wer „besser“ und wer „schlechter“ ist. Die Frage, wer der Beste in der Klasse sei, ist ungesund. Daraus können Schüler letztlich nur entnehmen, dass sie offenbar weniger wert sind als andere, die „besser“ sind als sie – oder umgekehrt: Die einen gewöhnen sich daran, auf andere herabzublicken, die „weniger gut“ sind als sie. Die daraus resultierenden Minderwertigkeitskomplexe und Selbstüberschätzung tragen beide nicht zur seelischen Gesundheit bei.

Entscheidend ist doch, welche Fehler der Einzelne gemacht hat und wie er lernen kann, diese nicht mehr zu machen. Wenn ein Schüler oder eine Schülerin das erkennt und die Lehrerin oder der Lehrer ihm oder ihr dabei hilft, aus den eigenen Fehlern zu lernen, so wird der oder die Betreffende in der seelischen Reifung unterstützt.

Fehler zu machen ist an sich schon nichts Angenehmes, dieser Schmerz muss erst verarbeitet werden. Wenn das Fehler-Machen auf positive Art begleitet wird, kann daraus eine seelisch gesunde Lebenshaltung entstehen: Was auch geschieht, ich kann aus allem lernen, immer wieder das Beste daraus machen und einen nächsten Schritt wagen!

Rudolf Steiner empfahl den Lehrern, vier Tugenden zu üben: Initiative, Interesse, innere Wahrhaftigkeit und „Nicht-sauer-Sein“. Das sind auch die wichtigsten Qualitäten zur Pflege einer guten Beziehung: immer wieder aufeinander zuzugehen, sich wahrhaft zu interessieren für den Weg und die Entwicklung des Anderen, ehrlich miteinander zu sein und sich über Fehler und Probleme nicht zu ärgern, sondern aus ihnen zu lernen.

  • Erziehung und körperliche Gesundheit

Als notwendig für eine gesunde körperliche Konstitution werden üblicherweise genügend Bewegung, Spiel und Sport, möglichst regelmäßige Schlaf- und Wachzeiten sowie eine gesunde Ernährung genannt.

In der Waldorfschule kommt noch ein entscheidendes weiteres Prinzip hinzu: Körperliche Gesundheit beruht auch darauf, dass das Kind und der Jugendliche lernen, ihren Körper intelligent und feinfühlig zu beherrschen sowie ausdrucksstark zu bewegen, ihn zu einem „Instrument der Seele“ zu machen, wie es der Buchtitel von Walther Bühlers Klassiker zum Thema sagt.1 Sich in seinem Körper wohl zu fühlen, darin „zuhause“ zu sein ist wichtig für die Gesundheit im späteren Leben. „Nicht gut drauf zu sein“, sich mit seinem Körper nicht identifizieren zu können, ist nicht zuletzt auch häufige Ursache für den Missbrauch von Alkohol oder Drogen.

Als pädagogisches Mittel zur Schulung von Ausdrucksfähigkeit und Ausdrucksvermögen durch den Körper eignet sich insbesondere alle Arten künstlerischen Übens (vgl. Kunsttherapie: Kunst als Weg zur Ergreifung des Ich ). Im Umgang mit Sprache, Gesang, Instrumentalmusik, Malen, Plastizieren und Eurythmie werden ganz unterschiedliche Möglichkeiten erprobt, sich selbst oder einem erlebten Vorgang auf stimmige Weise Ausdruck zu verleihen.

Dabei kommt der von Rudolf Steiner als Bühnenkunst entwickelten sowie für Pädagogik und Therapie spezifizierten Eurythmie eine besondere Stellung zu, indem sie gewissermaßen alle anderen Künste zusammenfasst und integriert: Sie ist bewegte Körperplastik, arbeitet mit Farben und Formen, bringt nicht nur Sprache und Musik, sondern auch geometrische Raumformen und soziale Figuren choreographisch zum Ausdruck. Wer vom Kindergartenalter an bis zum Ende der Schulzeit regelmäßig Eurythmie-Unterricht hatte, bewegt sich in der Regel sicher, hat eine gute Körperhaltung, ein differenziertes Ausdrucksvermögen, eine klare Körpersprache und ein gesundes Körpergefühl.

  • Erziehung und geistige Gesundheit

Spiritualität dient nicht nur der geistigen Befähigung des Menschen. Sie ist auch Ausdruck seiner geistigen Gesundheit und der Art und Weise, wie der Mensch sein Denken als die ihm eigene geistige Kompetenz handhabt.

Dabei gilt zu bedenken, dass Kinder und Jugendliche nur dann geistig gesund in das Leben hineinwachsen können, wenn sie nicht einseitig auf eine Weltanschauung – z.B. die des Materialismus – oder auf eine bestimmte Art des Denkens festgelegt werden.

Diesem Anspruch versucht die Waldorfpädagogik gerecht zu werden, indem sie zu beweglichem Denken ermutigt und die Schüler dazu auffordert, Dinge und Themen unter unterschiedlichen Aspekten zu erforschen.

Vgl. „Hilfen im Umgang mit Angst im Schulalter“, Vortrag auf der Schulärztetagung 2013

  1. Vgl. Walter Bühler: Der Leib als Instrument der Seele, Stuttgart 1993. Für die Waldorfschule bedeutet diese Haltung immer wieder, sich für gewisse „Traditionen“ rechtfertigen zu müssen: z.B. dafür, dass kein Fußball gespielt wird. Auch wird jeglicher Leistungssport dem Privatleben der Schüler überlassen.