Körperliche Entwicklung und Lernfähigkeit

Kann die Lernfähigkeit des Kindes missbraucht werden?

Wie kann man dieser Gefahr wirksam begegnen?

Zusammenhang zwischen Denk- und Lebensprozessen erkennen

Wer beginnt, den Zusammenhang zwischen dem Gedankenleben und dem Körperleben zu durchschauen, dem erwächst eine neue Verantwortung. Er muss sich fragen:

Wie ist der Prozess der Entwicklung zu lenken, dass die Wachstumskräfte, die der Körper für seine Entwicklung braucht, nicht zu früh zu intellektueller, gedanklicher Tätigkeit herangezogen und damit dem Körper für sein Gedeihen entzogen werden (vgl. Krebs als Zeitkrankheit: Altersgerechte Erziehung als Vorbeugung gegen Krebs)?

Die Lernfähigkeit des Kindes macht es möglich, die Wachstumskräfte zu missbrauchen und in einseitiger Weise verfrüht zu trainieren und damit die körperliche Entwicklung zu schädigen.

Rudolf Steiner ist der Erste, der in seinen pädagogischen und medizinischen Vorträgen auf diese Gefahr hingewiesen hat. Es ist daher eines der Hauptanliegen der Waldorfpädagogik, auf diesen Entwicklungszusammenhang Rücksicht zu nehmen und den Lehrplan nicht nach abstrakten Leistungsanforderungen, sondern nach gesundheitlichen Gesichtspunkten einzurichten.

Krankheit als notwendig anerkennen

Auch die anthroposophische Kinderheilkunde basiert auf der Berücksichtigung dieses Zusammenhangs: Ziel kann nicht sein, eine Krankheit so schnell wie möglich „wegzuzaubern“ oder den Krankheitsprozess zu unterdrücken. Vielmehr wird in der Bereitschaft des Körpers, krank zu werden, etwas gesehen, was er für seine Entwicklung braucht (vgl. Krankheit: Krankheit, Heilung und die Frage nach dem Sinn). Das Kind sollte die notwendige Zeit für Bettruhe, häusliche Rekonvaleszenz und Pflege bekommen und vor seelischer und geistiger Überanstrengung während dieser Zeit geschützt werden. Sind doch die Kräfte, die der Körper für seine Heilung benötigt, dieselben, die auch im Wachstum und in der Regeneration, aber auch im menschlichen Denken betätigt werden (vgl. Doppelnatur des Ätherischen: Zur Identität von Wachstums-, Regenerations- und Gedankenkraft):.

Vor dem Hintergrund dieser Tatsache eröffnen sich neue Perspektiven für Krankheitsprophylaxe:

  • Man wird alles tun, um zu verhindern, dass dem heranreifenden Organismus zu früh seine Wachstumskräfte entzogen werden durch einseitige gedankliche Entwicklung.

  • Man wird aber auch zu verhindern suchen, dass die geistigen Kräfte brachliegen und nicht zu altersentsprechenden Lernvorgängen herangezogen werden. Denn nur die gesunde Inanspruchnahme des Denkens führt zugleich zu einer Stärkung der vitalen Prozesse des Organismus.

Vgl. Kapitel „Zusammenhänge der menschlichen Denktätigkeit“, Elternsprechstunde, Verlag Urachhaus, Stuttgart